Gailingen
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Gedenkstein in Gailingen

47.696864, 8.7550748

Deportation

Seltenen Fotoaufnahmen zeigen Radolfzeller SS-Männer, wie sie die letzten noch im Dorf wohnenden 178 Jüdinnen und Juden aus ihren Wohnungen holten, darunter 84 Insassen des Friedrichsheims und 13 Patienten aus dem jüdischen Krankenhaus. Betty Friesländer, ihr Mann und ihr vierjähriger Sohn, waren unter den Verhafteten. Sie berichtete nach dem Krieg über die Fahrt mit dem LKW nach Singen und den weiteren Abtransport mit einem aus Konstanz kommenden Zug: „Auf der Fahrt nach Randegg flog noch mancher Stein an unsere käfigartige Behausung. […] Als wir an unserem altehrwürdigen „Beth Aulom“ (jüdischer Friedhof) vorbeifuhren, sprachen wir alle laut das „Schma-Israel“. Zunächst verbrachte man uns in die Scheffelhalle in Singen a. H., […]. Dort wurden wir erneut von zwei Beamten in Zivil, die jedoch der Gestapo angehörten, registriert. Unsere Kinder bekamen von der Stadt Milch verabreicht, wofür wir sehr dankbar waren; jedoch wir Erwachsenen blieben ohne jedes Labsal. Einige Stunden später wurden wir wiederum, diesmal zur Volksbelustigung der Singener Stadtbevölkerung, auf offene Lastwagen verfrachtet. Auf dem Bahnhof hieß der Befehl aussteigen und sich wie zu einem Appell in Reih und Glied aufstellen. Und gleich hernach fuhr schon ein Extrazug ein. Diesem entstiegen nunmehr die Juden aus Konstanz. Der Schrecken stand ihnen wie uns selber auf den verhärmten Gesichtern geschrieben. Auf einem Nebengeleise stand bereits ein ausrangierter, alter Eisenbahnzug bereit, die geknechtete Menschenfracht aufzunehmen!“

Jüdische Ortsgeschichte

Um 1657 ließen sich die ersten jüdischen Familien in dem reichsritterschaftlichen/Schaffhausener  Dorf Gailingen nieder. Als Zeichen einer dauerhaften Präsenz jüdischen Lebens gilt der oberhalb des Dorfes 1667 angelegte jüdische Friedhof. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war Gailingen Sitz eines Rabbbinatgerichtes. Ihre 1764 erbaute Synagoge ließ die jüdische Gemeinde 1836 durch einen Neubau ersetzen. Im 19. Jahrhundert gehörte sie zu den mitgliederreichsten jüdischen Gemeinden Badens. 1858 zählte sie 996 Mitglieder (über 50% der Ortseinwohner). Von 1870 bis 1884 leitete ein jüdischer Bürgermeister die Geschicke des Bodenseedorfes. Gailingen beherbergte mehrere überregionale jüdische Institutionen u. a. ein Krankenhaus (1891) und das Altenheim „Friedrichsheim“ (1898). Letzteres diente zwischen dem Dezember 1945 und 1947 als Durchgangslager für jüdische Displaced Persons.

Von den zwischen 1933 und 1940 in Gailingen registrierten 314 jüdischen Einwohnern kamen mindestens 160 Personen (einschließlich der Bewohnerinnen und Bewohner des jüdischen Altersheimes) in der Zeit des Nationalsozialismus ums Leben.

Zeugnisse jüdischen Lebens
Friedhof

Ein auf dem jüdischen Friedhof 1948 eingeweihter Gedenkstein erinnert an die Deportation der Gailinger Jüdinnen und Juden.

Andere Zeugnisse

Gegenüber dem Synagogenplatz steht das ehemalige jüdischen Schul- und Gemeindehaus mit jüdischem Museum: www.jm-gailingen.de.

Das ehemalige jüdische Altenheim „Friedrichsheim“ steht an der Gottmadingerstraße 1.

Quellen
Bamberger, Naftali Bar-Giora: Der jüdische Friedhof in Gailingen, 2 Bde, Tübingen, 1994
Friedrich, Eckhardt: Die Gailinger Juden, Konstanz 2010
Schmieder, Dagmar: Die gewaltsame Zerstörung der jüdischen Gemeinde Gailingen, in: Franz Götz (Hg.): Gailingen - Geschichte einer Hochrhein-Gemeinde, Gailingen - Tübingen 2004, S. 431-466