Im Mittelalter beherbergte Radolfzell eine jüdische Gemeinschaft, deren Angehörige 1349 im Verlauf der Pestpogrome ermordet oder vertrieben wurden. Erst nach der rechtlichen Gleichstellung der badischen Juden im Jahr 1862 zogen wieder jüdische Familien in die Stadt, wenn auch sehr zögerlich: 1880 wohnten 14 jüdische Menschen dort, 1925 waren es nur noch sechs. 1936 emigrierte das Ehepaar Bleicher nach Palästina, nun lebten bis zur Ankunft von Alice Fleischel im April 1940 keine Jüdinnen oder Juden mehr in Radolfzell.
Pfarrer Ramsauer und seine Konfirmandengruppe haben die traurige Geschichte von Alice Fleischel rekonstruiert: Im April 1940 war sie aus München über Baden-Baden nach Radolfzell gekommen - vermutlich, um von dort in die nah gelegene Schweiz fliehen zu können. Ihr Ziel war Südamerika oder Italien, wo eine Schwägerin lebte. 1897, im Jahr der Geburt des ersten Sohnes Erich Egon, wechselte sie zusammen mit ihrem 1936 verstorbene Mann Egon Fleischel, einem bekannten Berliner Verleger, zum evangelischen Glauben. 1903 war ihr zweiter Sohn Günther zur Welt gekommen. Sie nahm ein Zimmer im „Schiff. Durch eine Denunziation erfuhr die Polizei von ihrem Aufenthalt in diesem Gasthaus. In einem im Radolfzeller Stadtarchiv aufbewahrten Protokoll heißt es: „Dieselbe sei ohne festen Wohnsitz und nur auf Fremdenzettel gemeldet. Hotelier Strudel habe es unterlassen, die vorgeschriebene Anzeige zu erstatten und werde deshalb bestraft.“ Obwohl die Polizei ihre Abreise verlangte, wohnte Alice Fleischel bis zu ihrer Deportation am 22. Oktober 1940 im „Schiff“.
1942 kam die aus Berlin stammende Frieda Magnus (1895-1942) nach Radolfzell. Vermutlich hoffte sie wie Alice Fleischel, illegal über die Grenze in die Schweiz gelangen zu können. Frieda Magnus ist 1942 im Radolfzeller Krankenhaus verstorben; als Todesursache wurde Vergiftung angegeben.