Östringen (Östringen-Odenheim)
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Gedenkstein in Östringen

49.2176652, 8.7068968

Deportation

Am 22. Oktober 1940 lebten nur noch die Geschwister Ludwig und Amalia Wolf im Dorf. Ein Östringer Gymnasiast war Zeuge ihrer Abholung: "In unserem Marktflecken lebten nur noch zwei Personen mosaischen Glaubens, ein Geschwisterpaar namens Ludwig und Malchen (Amalie) Wolf, die auf Befehl der Partei bzw. der Gestapo die Vornamen, 'Israel' und 'Sarah' in ihren Pass gestempelt bekamen. Es ist mir nie so richtig gelungen, gegen Ludwig Wolf Gefühle des Hasses zu entfalten, obgleich ich damals bereits meine 'Führerkarriere' im DJ (Deutschen Jungvolk) beginnen durfte'. Ludwig Wolf war 1914 als Kriegsfreiwilliger für Kaiser und Vaterland in den Ersten Weltkrieg gezogen und mit verschiedenen Tapferkeits- und Verdienstauszeichnungen wieder heimgekehrt. Aber auch für ehemalige Frontkämpfer jüdischen Glaubens gab es keine ,Gnade', obwohl er dem SA/SS-Kommando, das ihn abholte, flehend beteuerte; ,Lassen Sie mich doch bitte in Ruhe; ich bin doch auch kein schlechterer Deutscher als Sie es sind!. Er musste mit seiner nervenkranken Schwester den LKW besteigen, auf dem schon einige Juden aus den Nachbardörfern waren. Unser Englisch- Lehrer, Professor D. aus Bruchsal, der auch Kreisredner der NSDAP war, verkündete dann am nächsten Tag in der Englisch- Stunde grinsend: 'Alle Juden in unserem Gau wurden gestern nach Südfrankreich abgeschoben, damit dieses arbeitsscheue Gesindel endlich einmal schaffen lernt.'

Vom Mingolsheimer Bürgermeister und SA-Mitglied wird erzählt: ,,Bürgermeister Bertsch wagte es nicht, diesen jüdischen Männern und Frauen unter die Augen zu treten. Offensichtlich war er wegen dieser Aktion zutiefst beschämt und sehr niedergeschlagen. Er sprach an diesem 22. Oktober 1940 kein einziges Wort mehr.”

Jüdische Ortsgeschichte

Spätestens Ende des 17. Jahrhunderts hatten sich jüdische Händler in dem zum Hochstift Speyer gehörendenden Östringen niedergelassen. Sie wohnten anfangs in der „Judengasse“ (seit 1934 Marschackerstraße). 1794 erbaute sich die jüdische Gemeinde eine Synagoge („Judenschule“) ORT, die sie 1834 durch einen Neubau auf einem benachbarten Grundstück ersetzte. Die meisten jüdischen Familien Östringens lebten vom Handel mit Vieh, mit der Zeit kam die Tabakverarbeitung dazu. Um 1900 existierten vier jüdische Zigarrenfabriken im Dorf. 1864 gehörten 110 Personen der jüdischen Gemeinde an, 1875 waren es 96 (3,6 % der Einwohnerschaft) und 1925 nur noch 20.

Dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 wurde auch in Östringen Folge geleistet. SA-Männer blockierten den Eingang des Schuhgeschäftes von Karoline Strauß, um Kunden von einem Besuch abzuhalten. Karoline Strauß zog aufgrund des fortdauernden Boykotts 1934 nach Heidelberg. 1936 wurde die Östringer Synagoge wegen Einsturzgefahr auf behördliche Anordnung hin abgerissen. Zwar kam es während des Novemberpogroms 1938 zu keinen Ausschreitungen gegen die zu diesem Zeitpunkt noch in Östringen drei lebenden Juden, doch wurde Ludwig Wolf in das Konzentrationslager Dachau gebracht und für mehrere Wochen dort festgehalten.

Mindestens sechs Jüdinnen und Juden, die den Jahren zwischen 1933 und 1945 in Östringen lebten, waren dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen.

Zeugnisse jüdischen Lebens
Synagoge

In der Saarlandstraße 10 erinnert eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge von Östringen.

Andere Zeugnisse

Die Gustav-Wolf-Galerie (Leiberg III 2) zeigt Grafiken und Gemälde des aus Östringen stammenden jüdischen Malers Gustav Wolf.

Quellen
Messmer, Willy: Juden unserer Heimat. Die Geschichte der Juden aus den Orten Mingolsheim, Langenbrücken und Malsch, Bad Schönborn 1986, S. 174-191
Stude, Jürgen: Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990, Ortsartikel Östringen, S. 372 -376