Waldshut
Die beiden Schwestern Jenny und Klara Aufrichtig betrieben ein kleines, aber hochwertiges Schuhgeschäft Mitten in Waldshut. Die leicht gehbehinderten älteren Damen führten ein eher zurückgezogenes Leben. Bis sie am 24. November 1940 gegen 16 Uhr von der Gestapo gezwungen wurden, das Nötigste zusammenzupacken und in das Sammellager in Gurs nach Südfrankreich deportiert wurden. „Ich sehe Menschen, aber keine Menschlichkeit.“ Dieses Zitat von Rania von Jordanien soll „die Fassungslosigkeit und das Entsetzen darüber ausdrücken, was Menschen machen können“, erklärt Benjamin Ketterer (18 Jahre). Deshalb steht es auf dem Gedenkstein, den er zusammen mit zwei Schülerinnen des technischen Gymnasiums Waldshut entwickelt hat. Der „Stein“ wird einer der beiden neuen Gedenksteine sein, die zur diesjährigen Gedenkfeier am 22. Oktober am ökumenischen Mahnmal in Neckarzimmern vorgestellt werden. Auf Anregung des „Freundeskreis Jüdisches Leben in Tiengen“ haben die drei Schüler sich dieses Projektes im Zuge eines Seminarkurses angenommen. Ein Jahr lang haben sie daran gearbeitet. Am Ende haben sie sich für eine Metallschnecke entschieden, die auf einem Stein montiert wird. „Die Spirale soll den Menschen darstellen, der eine Innen- und eine Außenseite hat“, erläutert Benjamin Ketterer. „Die geschwungene Form soll an das Leben der beiden Schwestern erinnern, das an einer Stelle einen abrupten Einschnitt findet.“
Genauso wie die konkrete Arbeit am Gedenkstein gehörte eine umfangreiche Recherche zu den Aufgaben der drei Jugendlichen. Neben dem Wühlen im Archiv von Waldshut und Freiburg, dem Vergleichen der wenigen, teils widersprüchlichen Daten, die an das Leben der Schwestern erinnern, haben sie auch einige Vorträge besucht und sprachen mit einem Augenzeugen, der „um die Ecke“ der beiden Schwestern wohnte und sich noch gut an die „freundlichen Damen“ erinnern konnte, und auch daran, wie sie damals abgeführt wurden.
Besonders überrascht hat Benjamin Ketterer bei seiner Recherchearbeit, dass die Schwestern trotz aller Anzeichen nicht geflohen sind, und wie schnell – schon zwei Monate nach Hitlers Machtübernahme – das erste KZ gegründet wurde. „Ich spreche da für unsere Gruppe, dass wir es jederzeit wieder machen würden, obwohl es viel Arbeit war und noch ist.“ Der Waldshuter Gedenkstein wird einmal am zentralen Mahnmal in Neckarzimmern aufgestellt und ein zweiter, fast identischer Stein, soll künftig in Waldshut selbst - vermutlich im Park bei der Versöhnungskirche – stehen.
Und was wurde aus den beiden Schwestern? Jenny überlebte das Lager Noé Haute-Garonne, starb jedoch bereits 1949 im Alter von 73 Jahren in Frankreich. Klara gilt seit 1943 als vermisst. Vermutlich ist sie im KZ gestorben. 1950 wurde sie rückwirkend für tot erklärt.
Geschichtsabriss:
Im Mittelalter lebten Juden in Waldshut, Nennung eines Waldshuter Juden im Jahr 1338. 1349 wurden die Waldshuter Juden während der Pestpogrome 1349 ermordet. Vorübergehend gab es Anfang des 16. Jahrhunderts jüdisches Leben in Waldshut, ihre Ausweisung erfolgte 1517. Dann ließen sich erst ab 1870 wieder jüdische Bürger in der Stadt nieder, sie gehörten als Filiale zu der jüdischen Gemeinde Tiengen.1925 lebten 30 jüdische Bürgerinnen und Bürger in der Stadt (das war die Höchstzahl) 1933 waren es noch 24.
Auf Gemarkung Waldshut befand sich bis um 1965 eine kleine Insel, „Judenäule“ genannt, auf der zwischen 1603 und 1750 die Toten der schweizerischen Gemeinden Lengnau und Endingen beigesetzt wurden, bis diese einen eigenen Friedhof zwischen ihren Orten anlegen konnten. Durch den Bau des Kraftwerks Koblenz-Kadelburg war die Überflutung der Insel absehbar; 1954/55 wurden die in 85 Gräbern gefundenen Totengebeine und die Grabsteine auf den Lengnauer Friedhof umgelegt. Vom Judenäule her erklärt sich die im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung „Judeninsel“ für die Insel Mühlegrien (oberhalb der Rheinbrücke Waldshut-Koblenz). Vom Judenäule ist nichts mehr sichtbar (ungefähr gegenüber dem Hauptportal der Fa. Lonza-Werke).