Merchingen
Ein Gedenkstein und eine Gedenktafel erinnern seit 1983 an die
Geschichte des ehemaligen Synagogengebäudes, das 1951 in eine
katholische Kirche umgewidmet wurde. Dieser Gedenkstein ist das Gegenstück des 2020 auf dem Neckarzimmerner Mahnmal eingeweihte Gedenkstein aus Merchingen .
Die Merchinger Dorfgemeinschaft hat den neuen Gedenkstein für die 1940 aus Ravenstein-Merchingen verschleppten Menschen gemeinsam entwickelt. Bereits in den 80er Jahren entstand in Merchingen eine Gedenkplatte, die in der katholischen Kirche daran erinnert, dass das Gebäude vor der Nazizeit eine jüdische Synagoge war. Für den Stein übernommen wurde das Motiv auf der Gedenkplatte – ein siebenarmiger Leuchter und darüber ein Ölbaum – und das Zitat aus einem Römerbrief des Apostels Paulus „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“. Damit solle auch deutlich werden, dass sich das Christentum aus dem Judentum aufbaut, darin seine Wurzel finde, so der evangelische Pfarrer von Merchingen, Dietmar Reizel. Bei der Einweihung des Merchinger Gedenksteines auf dem Mahnmal waren zur zentralen Gedenkfeier am 18. Oktober 2020 15 Merchinger nach Neckarzimmern gekommen, darunter der Bürgermeister und die Ortsvorsteherin.
Geschichtsabriss:
Eine jüdische Gemeinde in Merchingen existierte seit dem 17.Jahrhundert. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts zählte die jüdische Gemeinde mehr als 200 Angehörige; ihren Höchststand erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen um 1850; danach ging diese infolge Auswanderung bzw. Abwanderung und Geburtenrückgang rapide zurück. Ihre erste Synagoge, ein umgebautes Privathaus, war bereits um 1740 vorhanden, eine neue wurde in der Schollbergstraße Mitte des 19.Jahrhunderts eingeweiht. Eine Mikwe war in einem kleinen Gebäude an der Schafbrücke untergebracht. Im 19.Jahrhundert existierte bis 1869 auch eine jüdische Elementarschule am Ort. Die verstorbenen Merchinger Juden wurden zunächst auf den Friedhöfen in Berlichingen und Bödigheim bestattet; ab 1812 stand dann ein eigener Friedhof am Wurmberg, an der Straße nach Ballenberg, zur Verfügung (rund 300 Gräber erhalten). Ab 1827 war Merchingen über 50 Jahre Sitz eines Bezirksrabbinats. Ab 1883 wurde das Merchinger Bezirksrabbinat nicht mehr besetzt, ab 1886 von Mosbach aus mit verwaltet und schließlich bald ganz aufgehoben. Seit ca. 1900 waren auch die wenigen Juden aus Osterburken Merchingen angegliedert. Um 1840/1850 hatte die jüdische Gemeinde mit mehr als 320 Angehörigen ihren Höchststand erreicht; fast ein Drittel der Merchinger Einwohner waren Juden. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts wanderten viele jüdische Familien aus Merchingen ab. Neben Vieh- und Fruchthandel betrieben die Juden Merchingens auch Ladengeschäfte oder übten Handwerkerberufe aus.
In der NS-Zeit - 1933-1945
Während der „Kristallnacht“ vom November 1938 wurde die Synagoge von SA-Angehörigen demoliert und der jüdische Kantor misshandelt. Diese Vorgänge beschleunigten die Auswanderung der wenigen jüdischen Familien; die letzten drei verbliebenen jüdischen Bewohner des Ortes wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Mindestens zehn jüdische Einwohner Merchingens wurden Opfer der Shoa.
Literatur
Hahn, J. / Krüger, J.: “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Stuttgart 2007, S. 386 – 389
Hahn, Joachim: Synagogen in Baden-Württemberg, Stuttgart 1987, S. 89
Hahn, Joachim: Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Stuttgart 1988, S. 392 ff.
Hundsnurscher, F. / Taddey, G.: Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Stuttgart 1968, S., S. 198 – 200
Landauer, R. / Lochmann, R.: Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis, hrg. vom Landratsamt NOK, 2008
Nir, Benjamin Wolf: Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Merchingen, Hrg. Stadt Ravenstein 2004